Montag, 21. Oktober 2013

Der Startschuss


Wer Migräne hat, kennt dieses Gefühl der Ohnmacht. Fast noch schlimmer als der Schmerz und das Krankheitsgefühl selbst ist das Gefühl der Hilflosigkeit, des ausgeliefert seins. Man tut dies und das, man hält sich an vom Arzt aufgestellte oder selbst aufgestellte Regeln und trotzdem hat es einen wieder erwischt.

Der Kopf schmerzt, der Magen zieht sich zusammen, der ganze Kiefer tut weh und zusätzlich versucht ein böser Gehirnzwerg einem das linke Auge aus dem Schädel zu drücken.

Vielleicht hat man ja doch einen Gehirntumor. Oder eine Trigeminusneuralgie. Oder eine Nasennebenhöhlenvereiterung. Vielleicht ist man einfach nur zu doof die Triptane zum genau richtigen Zeitpunkt einzunehmen. Vielleicht ist der Arzt zu doof die passenden Triptane zu verschreiben.

Es muss doch eine Lösung geben. Es muss! Es wird doch immer schlimmer. Das kann doch so nicht weitergehen!

Und dass es dann doch so weitergeht, deprimiert, macht Angst, lässt resignieren und führt zu Stress und noch mehr Schmerz.

Als ich das erste Mal Migräne bekam lag ich gerade im Krankenhaus. Ich war 32 Jahre alt, hatte gerade eine OP hinter mir, war geschwächt und hatte viel Blut verloren. Nachts bekam ich plötzlich schreckliche Kopfschmerzen. Die Krankenschwester erzählte was von Verspannung und rieb mir ein Schmerzgel in den Nacken. Am Morgen danach ging es mir besser. Seltsam.

In der nächsten Nacht das gleiche Spiel. Die Nachtschwester fing an mich für eine Simulantin zu halten. Sie drückte mir das Schmerzgel in die Hand und ging wortlos.

Irgendwann hörten die nächtlichen Schmerzen wieder auf. Bis sie kurz darauf zurückkehrten. Man schickte mich zum Neurologen, Doppler-Sono. Kein Befund. Das sei alles psychisch sagte man mir und drückte mir eine Packung Migralave in die Hand. Die Tabletten verursachten starken Schwindel. Ich probierte was anderes. Die Kopfschmerzen gingen dann auf ein gewisses Mass zurück. Einmal im Monat erwischte es mich kurz vor oder kurz nach der Menstruationsblutung.

Das liess sich mit Paracetamol in Schach halten.
Unter Stress wurde es noch schlimmer, öfter, heftiger. Ich bekam Akupunktur, Kräuter und Massage. Es wurde besser. Das Wort "Migräne" wurde nie ausgesprochen von keinem Behandler.
Obwohl meine Schwester auch unter Migräne litt, waren es für mich "nur Kopfschmerzen".

Nach rund 5 Jahren hatte ich 1 Jahr Migränepause. Was hatte sich geändert? Ich hatte mich von meinem Partner getrennt, und zu dieser Zeit trieb ich viel Sport. Aber sonst? Ich hatte keine blasse Ahnung. Dann fing ich einen neuen Job an und die Migräne kehrte zurück.
Erst nur ab und zu, dann wieder regelmässiger, mehrmals im Jahr.

Vor rund 2 Jahren begann ich eine Hormonbehandlung. Wir wünschten uns ein Kind, ohne Reproduktionsmedizin hatten wir keine Chance. Von dem Moment der ersten Stimulationsbehandlung an uferte die Migräne aus. Sie wurde heftige, ging jedesmal locker 3 Tage, wurde von heftiger Übelkeit und ab und an nun auch von Erbrechen begleitet.

6 heftige Stimulationen und 2 Fehlgeburten später,  bin ich heute was meine Migränekarriere angeht auf dem bisherigen Höhepunkt angelangt. Ich habe fast jeden Tag stundenweise oder den ganzen Tag, leichte bis mittelschwere Kopfschmerzen, diese werden unterbrochen von Migräneanfällen der unangenehmeren Art 1-2 mal im Monat. Mein gesamter Nacken und die Brustwirbelsäule sind durch die Schmerzen total verspannt.

Das vom Neurologen verschriebene Sumatriptan lindert die Schmerzen maximal 8 Stunden lang, dann geht der Anfall fröhlich weiter. Habe ich 3 Tage lang Migräne, benötige ich theoretisch also massenhaft Triptane, praktisch nehme ich nie mehr als 2 am Tag. Das sind trotzdem 6 Stück. Um das zu vermindern versuche ich den 3. Tag ohne Triptane zu überstehen.

Im Grunde war das von Anfang an so. Der Ausblick des Arztes auf 3 Tage Unbill monatlich und den Rest der Zeit kopfschmerzfrei zu sein erfüllte sich nicht.

Nach vielen Tränen, Erschöpfung, schlimmen, mittelschlimmen und wirklich sehr schlimmen Tagen, bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass ich der Migräne nicht das Feld überlassen werden. Ich werde mich nicht mit dem jetzigen Zustand abfinden.

Vor einiger Zeit fand ich Violettas Blog. Sie führt seit längerer Zeit im Selbstversuch das Ernährungsprogramm eines amerikanischen Arztes namens Dr. Buchholz durch. Der vertritt die These, dass Schmerzmittel, insbesondere Triptane, aber auch Koffein und glutamathaltige Lebensmittel die Migräne enorm triggern und indem diese Trigger gemieden werden, kann man die Anzahl und Heftigkeit herunterschrauben.

Das bedeutet den Verzicht auf viele Lebensmittel, denn die meisten verarbeiteten Produkte enthalten Glutamat, also tschüss Fertigfrass, Snacks, Fastfood und Franzbrötchen. Ausserdem sind weder Kaffee, noch koffeinhaltigen Limonaden oder Schwarztee erlaubt.

Doch zunächst beginnt man das 3-Schritte-Programm wie er es nennt mit dem Verzicht auf Triptane und Koffein. Das ist schon meist genug für den Anfang, denn wenn die Gefässe zusammenziehenden Substanzen fehlen kommt es unter Umständen erst einmal häufiger zu Migräne.

Da ich aber 1. mein letztes Triptan am 23. September genommen habe und 2. sowieso momentan ständig unter Kopfweh leide, hoffe ich einigermassen gut durch die Zeit zu kommen. Meine letzte Migräne war vor 6 Tagen. Ich hab sie 2 Tage lang mit Novalgintropfen behandelt, dann war sie weg.

Ausserdem gehe ich zur Physiotherapie, zur Akupunktur und nehme verstärkt Magnesium. Aber dazu an anderer Stelle mehr.



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